Filme als Prototypen: Das Babylon Mitte zeigt eine Reihe von Robert Bramkamp, Dozent für Regie
an der Filmhochschule Konrad Wolf. Für jeden Film verändert er die Versuchsanordnung des Denkens
von Olaf Möller
Robert Bramkamp ist ein Meister des filmischen Versuchs. Gerade mal drei abendfüllende Filme hat er bislang realisiert, sich dabei souverän jenseits aller Genres bewegt, und doch ist sein Schaffen für das deutsche Kino von entscheidender Bedeutung: Jeder seiner Langfilme steht für sich und ist ein Prototyp, der eine genaue Versiegelung des jeweils herrschenden Zeitgeistes und dessen Reflexion herstellt. Das ist ein Nachdenken, aus dem weit über die unmittelbare Gegenwart hinausgehende Werte und Erkenntnisse gewonnen werden können.
Das klingt paradox? – Das ist erst der Anfang. Ambivalenzen muss man erdulden, Verwicklungen wie Widersprüche lieben, wenn man sich mit Bramkamp beschäftigt. Belohnt wird man mit Agitationsfilmen für wissenschaftliche Neugier und alltäglichen Witz, wie Bramkamp seine schlaue Komödie „Die Eroberung der Mitte“ (1995) einmal beschrieb. Das lässt sich pars pro toto für das Gesamtwerk sagen. Im gegenwärtigen Sprachgebrauch rar gewordene Wörter wie „listig“, „hintersinnig“ und „freundlich“ (im Brecht’schen Sinne) eignen sich ebenfalls gut zur Beschreibung von Bramkamps Prototypen.
Es dauerte lange, bis sich Robert Bramkamp aus dem heimischen Münster verabschiedete: Dort wurde er 1961 geboren, dort hat er Germanistik und Film studiert und schließlich in der Filmwerkstatt Münster seine ersten Arbeiten angefertigt, auf Video und Super 8. Mit 29 machte er sich auf in den Norden, nach Hamburg. Mittlerweile ist er in Berlin beziehungsweise in Potsdam gelandet, wo er an der Filmhochschule Konrad Wolf Regie unterrichtet.
„Prüfstand 7“ (2001), Bramkamps bislang letzte längere Arbeit, entspricht wahrscheinlich am ehesten dem, was man sich unter einem Prototyp vorstellt: Bei aller Geschlossenheit ist der Film von verwegener Vorläufigkeit, offen für vieles. Ein Film des Aufbruchs, passend zur Jahrtausendwende wie zur neuen Dimension von Raum, die das Internet mit sich brachte: Ein Film zur Zeit, ergo eine Denkschrift. Beschrieben wird „Prüfstand 7“ meist als ein Essay über die Geschichte der V2-Rakete, gedacht entlang von Passagen aus Thomas Pynchons Roman „Gravity’s Rainbow“ (1973). Die Handlung – so kann man die Suche von Bianca, dem Geist der Rakete, nach ihrem Ursprung durchaus nennen – folgt keinem dramaturgischen Bogen, sondern mutiert permanent vor sich hin. Man kann den Film theoretisch an jeder Stelle beenden und hat das Gefühl, etwas Geschlossenes gesehen zu haben – was zugleich nichts daran ändert, dass „Prüfstand 7“ mit einer Liebesapotheose zu enden hat. Denn in letzter Konsequenz hat er eben doch einen klaren Verlauf, einen spirituellen Vektor: von der historischen Realität des Todes hin zur überzeitlichen Utopie der Liebe.
Bramkamp, scheint’s, versucht, sich nicht zu wiederholen: Es gibt zwar gewisse Grundkonstanten – allen voran die von Jean-Marie Straub inspirierte Arbeit mit Sprache. Doch je nach Versuchsbeschreibung haben die Konstanten immer einen anderen Charakter. In dem Kurzfilm „Der Mann am Fenster“ (1989) etwa entfaltet das Bewusste des Sprechens ein spröde-widerständiges Pathos; in „Beckerbillet“ (1992) hingegen hat es etwas selbstbewusst Schlaksiges, das sich aller Kontrolle geschickt zu entziehen weiß; in „Gelbe Sorte“ bekommt es etwas bodenständig Verschmitztes; in Bramkamps wohl bekanntestem Film, „Die Eroberung der Mitte“ wird die Sprache schließlich zur Falle.
Während „Prüfstand 7“ auf der Materialebene eine poetisch polymorph perverse Hybridität kultiviert – verschiedene Film- und Videomaterialien werdenkräftig gemischt -, hat „Die Eroberung der Mitte“ etwas Gletschern-Geschlossenes, Flächiges. Der Film ist erst einmal eine Komödie über den rasenden Psychofaschismus seiner Zeit: Therapeuten bauen Seelen um, normgerecht, die Grenzen zwischen Individualität und deren Imitation werden umso transparenter, je gläserner der Bürger werden soll. Heilung und Kontrolle liegen hier nahe beieinander; jeder schleppt mehrere Alternatividentitäten mit sich rum, so wie auch jeder gegen jeden etwas in der Hand zu haben scheint: Videobilder, Fotos, oder Erinnerungen. Wenn sich Wolke Donner (Karina Fallenstein) zum Duschen auszieht, hat der kurze Augenblick ihrer Nacktheit etwas schockierend Absolutes: In dem Labyrinth der Zweideutigkeiten wirkt ihr Leib plötzlich wie das einzig Wahre oder Wahrhaftige. Aber auch das könnte eine Falle sein.
Da hilft nur Entschiedenheit: In einem paranoiden Universum wie dem von „Die Eroberung der Mitte“ muss man sich für einen Fluchtpunkt entscheiden, der Rest ordnet sich darum, dann wird man weitersehen.
Robert Bramkamp im Babylon Mitte: 23. 11., 20 Uhr, Gelbe Sorte, 24. 11., 20 Uhr Kurzfilme, 27. 11., 20 Uhr, Die Eroberung der Mitte, 22 Uhr Prüfstand
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Erscheinungsdatum 23.11.2004