Skript des Monats: Der gefrorene Blitz – News & Stories, dctp, 2001
Alexander Kluge / Robert Bramkamp

Transkript der Sendung „News & Stories – Der gefrorene Blitz“, dctp, 2001. Ein Gespräch von Alexander Kluge mit Robert Bramkamp über den Film „Prüfstand 7“, Thomas Pynchon und andere Forschungen zum Geist der Rakete.

[S/W: Zwei Männer begleitet von einer Frau kommen aus einem Haus, die Männer tragen einer überdimensionale #Zweizinkengabel an einem langen dicken Stiel, die Frau einen Koffer, der Himmel ist bedeckt, das niedere Gebüsch kahl / ein zerbombtes Gelände, ein ausgebranntes Haus / Groß: eine Rakete auf einer Abschussrampe, langsam hebt sich die Spitze nach oben / Ein Fabrikgebäude innen: Arbeiter hieven einen schweren Gegenstand aus dem Tor / Raketenprüfstand: Ingenieure steigen an dem Gerüst um die Rakete hinauf und herunter, es wird geschraubt, gedreht, Ventile eingestellt und vermessen / zerstörte Häuser, Rauch steigt auf, es brennt / die Rakete auf der Startrampe. Sie steht jetzt senkrecht in dem Stahlgerüst, darunter der laufende Text:]

Die Rakete ist die weitreichendste Erfindung des JAHRHUNDERTS DER INGENIEURE / Die Fachleute in Peenemünde hätten an ihrem Lieblingsobjekt auch weitergearbeitet, wenn es nicht KRIEGSWICHTIG gewesen wäre / In seinem Film PRÜFSTAND 7 hat Robert Bramkamp die spannende Geschichte der Rakete nacherzählt / Weil die Rakete EINSCHLÄGT und danach erst DONNERT, nannte man sie den GEFRORENEN BLITZ – –

[eingeblendet der Titel:]

DER GEFRORENE BLITZ / Filmemacher Robert Bramkamp über den MYTHOS DER RAKETE

[eingeblendet der Kopf des Darstellers von General Dornberger / Eine Rakete wird zum Start vorbereitet, gezündet / Der General wendet sich zum Gehen / als Silhouette von hinten: der General und ein zweiter Offizier verfolgen durch ihre Ferngläser den Start der Rakete, im Vordergrund rotbraunes Buschwerk. Die Rakete steigt auf in den helltürkisfarbenen Himmel, darunter der Text:]

Ausschnitt aus dem Film:
PRÜFSTAND 7
von Robert Bramkamp

Stimme (OFF): Hauptstufe.

Dornberger: Ich sah das Abwurfkabel fallen.

Stimme (OFF): Stecker gefallen. 1 – 2 -3 bis 59 im Verlauf.

[Groß: Der General hält sein Fernglas an die Augen, verfolgt den Start der Rakete, darunter der Text:]

General Dornberger, Chef des Raketenversuchsgeländes Peenemünde

Stimme (OFF): Schallgeschwindigkeit.

Dornberger: Jetzt. Die Rakete zerbrach nicht. Mir fiel einer der schwersten Steine vom Herzen.

[eingeblendet die Rakete, jetzt winzig klein in der hellblauen Stratosphäre, weiße durchscheinende Wolken]

Kluge: Und jetzt erst kommt die DIN-Norm, … [eingeblendet der Text:]
Alle Schrauben des Reichs haben DIN-NORM

Kluge: … die alle Schrauben des Reichs in eine Richtung bringt. Die einzige Reichsvereinigung seit Barbarossa überhaupt. Das kann man doch so sagen?

[Kamera auf Robert Bramkamp vor dunklem Hintergrund, er lächelt, seitlich und vor ihm aufgereiht mehrere brennende Kerzen in Windlichtern]

Bramkamp: Das ist interessant. Ja, das kann man so sagen, weil die Briten in England, die diese letzte Dornberger V 2-Rakete restauriert haben sagten: Wir hatten wirklich Probleme mit den englischen Gewinden aus Cuxhaven, mit deutschen Schrauben in englischen Gewinden …

Kluge: Ein Blindgänger eines Gegners, falsch herum gedreht, schon springt sie in die Luft.

Bramkamp: Sie hatten neben der Rakete ein ganzes Brett liegen mit deutschen und englischen Schrauben, wovon sie dachten die gehen vielleicht und die gehen nicht zusammen und das war auch deren Hauptdrama.
Kluge: Das ist das, was Richard Wagner versäumt hat, dass das zum Mythos gehört. Der Mythos, der sich in der Technik noch einmal …

Bramkamp: Das ist interessant, weil der Dornberger ja auch gesagt hat, in die Rakete ist so etwas wie ein wahnwitziges deutsches Handwerkerethos eingegangen, als Waffe gedacht, alles andere als effizient herzustellen, sondern sie wurde bezeichnet als fliegendes Laboratorium und der Vorwurf von Dornberger ist eben auch der, weil es ja da sowohl um die phantasmatische als auch um die praktische Arbeitserotik ging, dass das Ding nur gebaut wurde, weil anscheinend hunderte von Männer tagelang Lust hatten, daran rauf und herunter zu klettern, Dichtungen zu verschieben, Ventile einzustellen, Kabel zu verbinden usw. und durchzumessen.
Kluge: Das war ein Hobby.

Bramkamp: Eine wahnwitzige Hobbymaschine.

Kluge: Die zu Vernichtungszwecken brauchbar ist, aber einen fremden Politiker braucht, der sich das zunutze macht, die hätten das auch weiter entwickelt.
Bramkamp: Die hätten das auch weiter zu Tests abgeschossen die nächsten 20 Jahre und immer wieder verbessert.

Kluge: Wenn Sie mir einmal den Unterschied einer Rakete zum Mähdrescher erklären. Was ist am Mähdrescher verschieden?

Bramkamp: Der Entwicklungsstand ist natürlich hochgradig ein anderer und der Mähdrescher ist
z.B. eine Maschine, die 20 bis 25 Jahre durchhalten kann und die Rakete …

Kluge: Wird abgeschossen.
Bramkamp: Wird abgeschossen und ist weg. Die Lebenszeit einer #…-Rakete ist keine fünf Minuten und …

Kluge: Einwegwerkzeug.

Bramkamp: Einwegwerkzeug und man denkt ja nie bis zu dem Punkt, wo sie auch einschlägt. Das banale Ende ist, man hat nie weiter gedacht, sondern immer nur bis zu dem Punkt, wo sie entweder im Himmel verschwindet oder die Erde hinter einem zurück bleibt und am besten noch ein paar abgetrennte Stufen mit dem Phantasma: jetzt bin ich frei und woanders sozusagen.
Kluge: Soweit Produzentenstolz der Macher. Bramkamp: Genau.
Kluge: Und jetzt kommen Intriganten, es kann auch Geheimpolizei sein, die nutzen das, d.h. die Strategen, die daraus Vernichtungswaffen machen, sind ganz andere Charaktere als die, die das bauen.
Bramkamp: Da bin ich nicht ganz sicher, im Zweiten Weltkrieg sind die ja dann sozusagen eingesetzt worden, wohl wissend, dass das nicht mehr viel nutzen wird oder dass es auch nicht besonders effizient ist und was man auch nicht weiß ist, dass die belgische Hafenstadt Antwerpen von über 1000 Raketen mit jeweils einer Tonne Sprengstoff, man macht sich keine Vorstellung von dem Ausmaß, komplett verwüstet worden ist und zwar horrormäßig, man kann sie nicht hören, es gab einfach nur fortlaufend schreckliche Explosionen. Heute, jetzt bin ich mir nicht sicher, dass diese phantasmatische und diese schillernde Wirkung dieser Rakete ganz enorm in die Politik mit rein spielt und dass das genau die Leute sind, die auch auf diese Wirkung setzen und ihr verfallen sind. Ein Beispiel jetzt: die Patriot- Raketen aufzubauen in Israel, d.h. die erste Rakete gegen eine Rakete sozusagen, wenn die funktioniert hätte, die hat ja nicht funktioniert, und die klar als böse markierte irakische Rakete wirklich abgeschossen hätte, dann könnte man so sagen, dann wäre gegen das Böse in der Rakete endlich eine rein gute Rakete gewachsen und diese Rakete wäre jenseits der Ambivalenz gewesen, zumindest vom Traum der Amerikaner her, die so etwas aufstellen und darauf einen ganzen Mythos bauen. Der Versuch, dass die eigene Technik als gute Rakete oder als gute Waffe, …

Kluge: Wie ein Schutzengel.

Bramkamp: … als Schutzengel raus kommt aus diesen elenden Zweifeln.

Kluge: Im Indischen Ozean sind acht Polaris-Uboote versteckt, die, falls Indien naschsüchtig wird nach Kaschmir und irgendwie Atomraketen austauscht mit Pakistan, dann werden die in der Stratosphäre abgefangen. Das wäre natürlich eine Schutzfunktion.
Bramkamp: Das wäre eine Schutzfunktion, aber wir wissen, dass es diese Schutzfunktion nicht gibt.

[eingeblendet ein Filmausschnitt in Farbe: Ein Verletzter wird aus einem israelischen Rettungsfahrzeug auf einer Bahre weggetragen / Raketenabschussbasis in der Wüste / Tag: mehrere Raketen werden gleichzeitig in die blassblaue Stratosphäre geschossen / Nacht: man sieht die hellen Feuerschweife von Raketen, die durch die Nacht fliegen und ihr Ziel suchen, Explosionen am nachtschwarzen Himmel / S/W- Archivbilder aus Peenemünde: der Abschuss einer Rakete, sie zieht einen Feuerschweif hinter sich her, verschwindet in einer Rauchwolke, taumelt und stürzt zurück auf die Erde / Raketenprüfstand / Abschußrampe: eine weitere Rakete wird gezündet, sie fällt mit der Spitze nach oben auf die Erde zurück, eine dicke schwarze Rauchwolke unter sich / eine in der Luft torkelnde Rakete / Totale: Raketenabschussgelände: tiefe Krater bedecken den Erboden / in Farbe: eine Rakete stürzt ab, explodiert in einem Feuerball am Boden / S/W: Startgestell mit einer abschussbereiten Rakete, darunter die Off-Stimme Bramkamps und der Text:]
Ausschnitt aus dem Film
PRÜFSTAND 7 Von Robert Bramkamp

Bramkamp (Off): Erst 1991 trat gegen die böse Irak-Rakete im Golfkrieg die erste Raketenabwehr-Rakete Patriot an. Die Abwehr mißlang. Aber in Amerika versiegten alle Proteste gegen den Krieg unter einem Schleier der Faszination. In Peenemünde, wo sich die Energien von zehntausend Männer und Frauen auf ein einziges Objekt #beglücken, sah ich in Archivbildern die erste real existierende Eve-future, sie war noch ein junges Ding und verlor oft die Orientierung. Immer, wenn sie die Nabelschnur abwarf, sollte ihr aktives Leben 53 Sekunden dauern. Oft fing es gar nicht erst an. Häufig dauerte es nur wenige Sekunden. Nach jeder Wiedergeburt torkelte sie oder konnte gar nicht erst gerade stehen. Manchmal, wenn ihr Leben beginnen sollte, explodierte sie vor Wut, mitunter wochenlang hintereinander. Doch selbst die Fehlstarts der Maschinenbraut produzierten einen Hexenkessel, der konkurrierende Geister vertilgte. Für diese reinigende Potenz liebte man sie über alles.
[Kamera wieder auf Robert Bramkamp inmitten der brennenden Kerzen]

Kluge: Glauben Sie, dass es zu dieser Raketenentwicklung gekommen wäre ohne den militärischen Arm, ohne die Subvention, die das Heeresbeschaffungsamt gibt?

Bramkamp: Ja.

Kluge: Hätte die Industrie Raketen entwickelt?

Bramkamp: Die Industrie wahrscheinlich nicht, aber früher oder später wären… in Kombination mit kleinen Firmen sie soweit gewesen, sie waren ja tendenziell 1933 so weit, die hatten ja schon Raketen, die fünf, sechs Kilometer hoch fliegen konnten.
Kluge: Aber was hätten sie damit machen können, welchen Preis hätten sie …

Bramkamp: Postraketen.

Kluge: Aber Postraketen hat es ja bis heute nicht gegeben.

Bramkamp: Nein, nein, das war ja sozusagen eine alte Idee im Verhältnis zur einer neuen Technik.

Kluge: Also Wettermeßraketen, das gibt es ja.

Bramkamp: Ja, spätestens jetzt, man sieht es jetzt, das ist auch das Erstaunliche, dass die Rakete so ein Revival hat, denn sie hatte ja schon ihre Bestimmung gefunden in dem Moment wo klar war, man kann damit Satelliten in die Umlaufbahn bringen und diese Satellitenposition ist nützlich, die kann man gebrauchen. Das wäre früher oder später gekommen.
[eingeblendet der Text:]
Wie funktioniert eine RAKETE?

Kluge: Wie funktioniert eine Rakete?
Bramkamp: Das Prinzip ist, dass eine gewisse Menge von flüssigen Stoffen, flüssige Gase, also sehr komprimiert, sehr heiß unter extremem Druck so verbrannt werden, dass sie sich verwandeln in einen Gasstrahl, der durch eine Düse unten aus der Rakete heraus geleitet wird und das Prinzip ist das bekannte. Was auch immer zur Erklärung verwendet wird: man ist quasi in einem Ruderboot und wenn ich davon weg springe an Land, dann bewegt sich das Boot in die andere Richtung, ich bin also quasi eine Masse, die nach hinten geht und das Boot geht nach vorne.
Kluge: Das ist die Rückstoßwirkung.

Bramkamp: Das ist einfach diese Rückstoßwirkung. Das Entscheidende ist, man hat soundso viel Tonnen von diesen flüssigen Stoffen und soundso schwer ist die Rakete. Man muß die jetzt so effizient und unter so hohem Druck verbrennen, dass das Produkt aus Geschwindigkeit plus Masse dieser Flüssigkeit einen hinreichenden Rückstoßimpuls erzeugt.
Bei der A4-Rakete ist das immer so schön klar, die Rakete wiegt 12,5 Tonnen und der Schub ist 25 Tonnen, d.h. genauso schnell wie ein Stein zu Boden fällt, immer schneller werdend in exakter Umkehrung der Schwerkraft fällt das Ding sozusagen von der Erde weg nach oben.
[eingeblendet eine Rakete auf dem Startgerüst / Raketenprüfstand, Männer schrauben mit überdimensional großen Schraubenschlüsseln, drehen Gewinde fest, prüfen Schläuche, stellen Ventile ein, / Raketenofen in steinigem Gelände, man sieht den Gasstrahl aus dem Ofen schießen / Raketenabschussrampe, die Rakete steht jetzt startbereit senkrecht in ihrem Stahlgerüst / ein Mann prüft an einem Monitor, auf dem eine Rakete zu sehen ist, letzte Einstellungen / groß: die Rakete auf dem Monitor, darunter der Text:]
Ausschnitt aus dem Film: PRÜFSTAND 7 von Robert Bramkamp

Sprecherin (Off): Die Rakete stellt eine grundsätzliche neuartige Waffentechnik dar. Sie ist keine Bombe, denn sie treibt sich selbst an. Sie ist kein Flugzeug, denn sie fliegt ohne Flügel, sie wird nicht per Propeller, sondern von einem Raketenofen angetrieben, der 4 Tonnen Alkohol und 4 Tonnen flüssigen Sauerstoff in nur 60 Sekunden verbrennt.

Sprecher (Off): Erst im Ofen, der vor dem Start getestet wird, vermischen sich Sauerstoff und Alkohol, sie verbrennen bei extremem Druck und Hitzegraden zu einem Gasstrahl, der die Rakete gewissermaßen nach unten hinausschleudert.
[Kamera zurück auf Robert Bramkamp]

Kluge: Und Sie sagen, es gibt sozusagen Maschinenmenschen insofern, als jahrhundertelang jeder Mensch einen Bauern in sich trug, dann beginnt plötzlich so etwas wie ein Städter neben dem Bauer in den Menschen zu leben.
Bramkamp: Ja.

Kluge: Aber inzwischen ist wichtiger geworden das, was Menschen in Maschinen eingebaut haben, was Marx die tote Arbeit nennt, die erscheint nun auch im Menschen und so ähnlich wie die magischen Wurzeln in Alraune ein Lebewesen, ein Zwischenreich erzeugen können, wie die Lust an Blut, altes nomadisches Erbe aus Transsylvanien, das Räuberische im Menschen, den Vampirmenschen erzeugt, so gibt es jetzt den Maschinenmenschen oder die Maschinenfrau,
die …

[eingeblendet das Profil einer jungen Frau, große Augen, dunkle lange Haare, Inga Busch, die Hauptdarstellerin des Films PRÜFSTAND 7]

…sozusagen das Beste, was der Mensch je konnte, was die Ingenieure konnten, im Herzen trägt.

[eingeblendet in der Mitte des Bildschirm Inga Busch, sie sitzt als „Geist der Rakete“ mit dieser auf einer Mondsichel, links im Bild die Zeichnung eines Mannes mit Rakete auf der Mondsichel liegend, ein Zeichner steht davor, ergänzt das Bild / die junge Frau, steigt in Zeitlupe von der Rakete inmitten der Mondsichel, geht aus dem Bild darunter eingeblendet der Text:]

Inga Busch,
Hauptdarstellerin in PRÜFSTAND 7 als „Geist der Rakete“
Kluge: … und so ein Mensch ist Ihre Figur Inga Busch? Die verführt nicht Männer?

Bramkamp: Höchstens wenn es notwendig ist. Ja, ich glaube schon, sie kommt etwas sanfter daher. Es gibt aber Szenen, wo schon Klartext gesprochen wird.

Kluge: Es ist in der ganzen Technik, Ingenieurskunst auch etwas Sanftes enthalten. Das könnte man doch sagen?

[Kamera wieder auf Robert Bramkamp:]

Bramkamp: Wenn man sieht, wie die mit wehenden Jacken im großen Windkanal stehen und die Rakete pendelt noch so ein bißchen, man hat sie eingenordet, und diese Operette wird gespielt und sie berühren noch einmal die Spitze und halten sich gegenseitig fest und dann lenken sie noch einmal wieder aus, wie die kleinen Jungs, das ist reine Poesie. Sie warten darauf, wie der Windstrom wieder sozusagen ihre Richtung vorgibt, den klaren Kurs, den sie sich so sehr wünschen, reine Poesie.
Kluge: Es gibt doch ein Objekt in der Welt, das sozusagen für Attentate sich gerade angeboten hat, auch für Artilleriebeschuß durch die Deutschen 1940 oder 1944, bevor sie abziehen, hätte man den Eiffelturm sprengen können, es war angeordnet und trotzdem ist dieses zärtliche Spitzengewächs, das sozusagen eine Stadt überragt und übrigens wie eine Rakete aussieht, die aber nie startet, eine verankerte Rakete, könnte man doch vergleichen?
Bramkamp: Die Rolle der Spitzenrakete ist sehr, sehr speziell, das hat sicher auch etwas mit der Verzückung der Spitze zu tun, wir haben ganz irdisch daran gearbeitet und der Helmut Höge hat uns einen Tip gegeben, geht mal nach Peenemünde, da ist auch die „V 2“ mit der Spitze, die kann man aber nicht streicheln und nicht berühren. Ersatzweise haben die weisen ostdeutschen Bodeningenieure der Mig zwei, drei Migs daneben gestellt mit diesen ganz, ganz spitzen, kugelschreiberartigen Spitzen vorne und wir sollten einmal darauf achten, wie oft die gestreichelt würden. Wir haben dann einfach nur noch unser Archivmaterial, was wir dort gedreht haben, durchgesehen und haben herrliche Aufnahmen gefunden: ganz beiläufiges stummes wissendes kleines Streicheln der Spitze, stellvertretend der Raketenspitze, und ich glaube, da wird sozusagen so etwas wie ein stummer Schwur abgelegt, den braucht man nicht mehr sagen, übersetzt würde der ungefähr bedeuten: Spitze mit deinem jein, mit der Verzückung, wo ich einfach sagen muß, die ist besser als dass ich in Spannungen wieder das gut finden muß, oder das, oder dass ich Widersprüche aushalten muß, oder dass ich mein eigenes Leben auch noch in Bögen aufbauen muß, da ist das alles da, da ist es im Moment, ist es jetzt und im Zweifelsfall wird diese Spitze auch alles auf den Punkt bringen, was wir nicht mehr zusammenbringen, geschweige denn auf den Punkt bringen. Und dieser Schwur ist stumm, der braucht die Sprache nicht mehr, der hat eine gewisse Verzückung.
Kluge: So wie der Blitz des Zeus die Sprache nicht braucht, es war, als hätte der Himmel die Erde still geküßt und das tut er über die Spitze der höchsten Türme.

Bramkamp: Das tut er über die Spitze der höchsten Türme und über die Spitze der Rakete und man nennt sie die „gefrorenen Blitze“.

[eingeblendet der Text:]

„Dieses alles aber steuert der Blitz“ HERAKLIT

Bramkamp: Dieses alles steuert der Blitz ist wirklich ein rätselhafter Satz, aber man kann von diesem Satz, glaube ich, mehr verstehen oder man kann ihn sich irgendwie zunutze machen, wenn man sich klar macht, was die Deutschen, nicht wissend, dass sie einen Geist produzieren am 3. Oktober 1942, abgeschossen haben, das hieß nicht umsonst der gefrorene Blitz.
Kluge: 3. Oktober 1942? Bramkamp: Ja.
Kluge: Und das war die erste, die funktionierte?

Bramkamp: Ja, da ist die erste Rakete ins Weltall geflogen. Die einen sagen ja, die anderen sagen nein, aber sie hat abgehoben.

[eingeblendet in S/W: Raketenabschußgerüst / ein Mann drückt auf einen Knopf / eine Rakete hebt ab]

Kluge: Sie sagen, es gibt die Situation, dass Wernher von Braun sich durch eine Rakete selbst beschießen läßt.
Bramkamp: Er wollte sich umbringen.

Kluge: Nachdem er sie gebaut hatte, wollte er sein Selbstbewußtsein zeigen, wollte zeigen: die trifft nicht falsch.

Bramkamp: Ich glaube, es war präzise die Situation von Frankenstein, warum auch immer, er muß, wenn er etwas in die Welt setzt, was sozusagen anders lebt als Menschen und mächtig ist, irgendein Golem, man muß ihn treffen, man muß ihm Auge in Auge gegenübertreten früher oder später, ganz einfach.
Kluge: Ich habe den Drachen gezeugt und werde jetzt der Drachentöter außerdem sein.

Bramkamp: Ich muß es sein oder der Drachen verschont mich, aber ich muß ihm jedenfalls entgegentreten.

Kluge: Er hat eine Wette mit dem Schicksal abgeschlossen.

Bramkamp: Er hat beschlossen, es herauszufordern. Sein Geschöpf hat ihn verschont, was eigentlich auch der Moment ist, an dem er die Grenze überschritten hat, sich selbst als Unsterblichen, Unvernichtbaren zu sehen, denn wenn einer sozusagen die Explosion einer „V 2“ – Rakete in 90 Meter Entfernung überlebt, ..
Kluge: Dann ist er nicht mehr aufzuhalten.

Bramkamp: .. und nur ein paar Schrammen hat, dann ist er nicht mehr aufzuhalten.

[Filmausschnitt aus PRÜFSTAND 7: Ein Mann mittleren Alters in Zivil in einer Heidelandschaft (Darsteller des Wernher von Braun) / General Dornberger und zwei Offiziere vor einer Baumgruppe, der General hält ein Fernglas in der Hand / Wernher von Braun: er schaut zum Himmel, auf seine Uhr / azurblauer Himmel mit kleinen weißen Wolken / Wernher von Braun hebt sein Fernglas an die Augen, schaut in den Himmels, darunter der Text:]
Peter Lohmeyer als Wernher v. Braun

Sprecher (Off): 280 Kilometer entfernt wurde die Rakete mit einer Tonne Sprengstoff bestückt und auf eine Flugbahn gebracht, die über Wernhers Geburtshaus, wo seine Mutter lebte, direkt auf Wernher zusteuerte. Sie würde mit fünffacher Schallgeschwindigkeit auf ihn herabstürzen, unhörbar. Nur für drei oder vier Sekunden würde ihr Wernher ins Angesicht blicken können. Wer oder was würde danach der Wernher von Braun sein, den wir von Fotos kennen?
[Die Rakete explodiert in einem Feuerball, Staubwolken wirbeln auf, Wernher von Braun fliegt wie ein Geschoß durch die Luft, verbranntes Gras, er liegt auf dem Heideboden, der abgestorbene Ast eines Baumes neben ihm, langsam schlägt er die Augen auf, richtet den Oberkörper auf, reibt mit der Hand über die Wange, sagt:]
v. Braun: Es war der glücklichste Moment meines Lebens.

[Kamera wieder auf Robert Bramkamp:] Kluge: War das irgendwie …
Bramkamp: Es gab auch technische Gründe, man kann sagen, der technische Grund sind diese Luftzerleger gewesen …

Kluge: Ach, und er wollte selbst wissen …

Bramkamp: Und er hat gesagt, jetzt reicht es mir, …

Kluge: … wie ein Luftzerleger aussieht. Ich mache das nicht mit Kameras, ich mache es selbst.

Bramkamp: Genau.

Kluge: Und wenn er in den Kugelhagel selbst hineingeht.

Bramkamp: Er wollte wissen, was ist hier falsch, wollte es sich selbst ansehen und so hat er sich quasi in Polen mit dem Fernrohr auf die Heide gestellt und hat das Ding beobachtet…
Kluge: Ich will es ankommen sehen.

Bramkamp: Genau. Er will es ankommen sehen, ich habe diesen Aspekt dann weggelassen und habe den Frankenstein-Aspekt betont. Genauso kann man sagen, Antwerpen wurde vernichtet, weil es der Tiefseehafen nach der Invasion war, man kann aber auch sagen, es wurde vernichtet, weil es Handwerfen heißt und sozusagen Hände, glaube ich, das Wesen sind, das in die Raketeeingegangen ist, die begreifende Hand, … Kluge: Die begreifende Hand.
Bramkamp: …die fliegt eigentlich mit in der Rakete. Es sind eigentlich wegfliegende, abgeschlagene Hände und wenn sie etwas getroffen haben, dann die Stadt, die das Handwerfen propagiert und im Zentrum von Antwerpen steht ein Denkmal von jemand, der eine abgeschlagene Hand hat, was nun wirklich für die alte Existenz steht, was wir sind, also begreifen, erfassen, denken, berühren.
Kluge: Und das Menetekel, das während des Kalten Krieges die ganze Zeit an der Wand stand, in der Raketenkrise waren sozusagen über den Globus fliegende …

Bramkamp: Abgeschlagene Hände.

Kluge: … Heerscharen abgeschlagener Hände, tote Arbeit würde man sagen, ehemalige lebendige Hände, die am Körper dran waren und deren Leistung jetzt vom Menschen
abgekoppelt …

Bramkamp: Die nach einem altem germanischen Ritus auch abgeschlagen wurden, was uns auch wieder Herr Böhm aus Essen erzählt hat, denn wenn die aus der Schlacht zurückkamen, wo sie sich aneinander gefesselt hatten, und sie waren nicht tot, konnten also nicht als Helden nach Walhalla, dann mußten die, um der Schande zu entgehen, sie haben sich auf dem Weg zum Dorf selbst die Hand abschlagen, so dass man sagen kann, und das ist eigentlich der Satz, der mir das klar gemacht hat: wer eigentlich tot sein müßte, aber weiterleben will, der schlägt sich die Hand ab. Genau diese fliegenden Hände sind die Raketen.
[Filmausschnitt: Eine Gruppe Soldaten, ein Verwundeter, der trägt am linken Arm einen Gipsverband, ein Zivilist mit Hut:]

Zivilist: Ja, wer sterben will aber leben, der schlägt sich die Hand ab.

Frau: Sie fliegt mit Raketen in ein Weltraum- Walhalla und dort lebt die Hand ewig?

[Eine Rakete startet in die Stratosphäre / Wernher von Braun / darüber ein Sprecher:]

Sprecher (Off): Er wußte doch, dass die Rakete kein Werkzeug in Männerhänden ist, sondern das erste Werk einer Technik, die autonom und getrennt vom Menschen zu leben beginnt, allen Händen entflieht / darunter der Text:]

Ausschnitt aus dem Film:
PRÜFSTAND 7 von Robert Bramkamp [Kamera zurück auf Robert Bramkamp]
Kluge: In welches Genre würden Sie Ihren Film einreihen? Geisterfilm?

Bramkamp: Geisterfilm finde ich sehr gut, das würde mich befreien von dem Problem, dass ich nicht genau sagen kann, ob das ein Spielfilm oder ein Dokumentarfilm ist. Das ist auch eine Unterscheidung, die ich nicht so wichtig finde für den Film. Es geht …
Kluge: Ein vampiristischer Geisterfilm?

Bramkamp: Ja, es geht ja um die verschiedenen Seiten der Rakete und für mich gehört dazu Geist, eigentlich im deutschen Wortsinn, man könnte auch sagen Gespensterfilm, aber auch die andere Seite Inspiration, also es ist beides drin, es ist eine Idee unterwegs, das kann durchaus inspirierend sein, es ist aber auch ein Gespenst unterwegs, eigentlich zwei, weil die Hauptdarstellerin entdeckt ja irgendwann, dass sie der Geist der Rakete ist und die Rakete selbst hat mit Sicherheit unter den verschiedenen Zuständen, die, sagen wir einmal, der Körper annehmen kann, ist ein vampiristischer, insbesondere mit dem Versprechen jenseits der traditionellen Geschlechteraufteilung bei der Fortpflanzung dennoch Leben erzeugen zu können, Leben in die Welt setzen zu können, oder Leben unendlich verlängern zu können.
Kluge: Das Interessante ist ja, dass diese Rakete als Ingenieursprodukt sich vom Boden erhebt, also ein Volk ohne Raum, sagen Sie …

[eingeblendet ein Buch, rostfarbener Einband, von Hans Grimm „Das Volk ohne Raum“ neben einer Stahlkonstruktion und dem Erball]

Bramkamp: Dieses fundamentale Adieu, d.h. das Problem Volk ohne Raum dadurch zu lösen, dass man gleich der ganzen Erde Adieu sagt, das ist von vornherein …

[Kamera wieder auf Robert Bramkamp]

… mit Sicherheit bei diesem Werk virulent gewesen und am Werk gewesen.

Kluge: Das ist anders als bei Zeppelin und Flugzeug, denn die kehren ja wieder.

Bramkamp: Es ist anders und man kann es sich schön klar machen an der originalen Startsequenz, da gibt es erst die Vorstufe und nach drei Sekunden wird die Hauptstufe gegeben und dann wird das Gerät absolut autonom. Es ist eine absolut autonom lebende Technik ohne jede Funkfernsteuerung.
Kluge: Und man kann sie wieder zurückholen.

Bramkamp: Und dann kommt das Signal, wo wir heute sagen: lift off oder Start gelungen und das hieß ja damals: Stecker gefallen, und in dem Moment, in dem dieser Stecker fällt, gibt es keine Verbindung mehr zu dieser Rakete, auch kein Funk und gar nichts und das macht, glaube ich, die Radikalität dieses Abschieds klar. Das ist nicht nur Abschied von der Erde, das ist, glaube ich, noch mehr, weil Sie sagen „Vampir“, es ist Abschied von einer gewissen Unterscheidung was ist lebendig, was ist tot, von einer alten Art zu leben und die Beschwörung von einer neuen möglichen Existenzform definitiv, die auch ein spezielles Verhältnis zum Tod hat, wieder „Vampir“ und die vor allen Dingen auch, also wenn sie diesen Stecker fallen läßt, sehr sehr viel Energie mitnimmt von der Erde und das ist ganz…
Kluge: Sie gehört aber nicht mehr dem Absender, sie gehört auch nicht dem Empfänger, sie gehört nicht dem Kosmos, diesem eindeutigen Kunstprodukt, …

Bramkamp: Es kommt etwas Neues dazu. Es ist ein neues eigenständiges Wesen, was da erwacht und man kann vielleicht sagen „Vampir“ auch insofern, als dieses Wesen die Wünsche seiner Erschaffer mitnimmt und das ist eine Gruppe von etwa zehntausend Leuten, ja nicht nur Eliten, sondern einer Gruppe von jungen Leuten, Männer und Frauen …
Kluge: Die ihr ganzes Können da reingebaut haben.

Bramkamp: … ihr ganzes Können über Jahre da reingebaut haben und auch eine ganze Stadt gebaut haben, also quasi eine richtige Siedlungs-
oder Zivilisationsform, … Kluge: An der Ostsee.
Bramkamp: …an der Ostsee, an der Küste, das ist ganz wichtig, es gibt später, als die alle rübergegangen sind nach Amerika, solche Statements wie: wir hörten das Schilf und das Rauschen der Wellen, das sich, wie schon aus Peenemünde bekannt, mit dem Dröhnen der Raketenmotoren überlagerte.
Kluge: Also wie Kolumbus das braucht. Bramkamp: Das Rauschen.
Kluge: Sie starten ins Luftmeer, aber sie brauchen die Assoziation des Starts am Meer.

Bramkamp: Der Küste.

Kluge: Der Küste, die sie verlassen.

Bramkamp: Zum offenen Land, zum weiten Meer, bzw. zum Raum, aber bei der Rakete konnte ja niemand mit fliegen am Anfang, d.h. es war wirklich eine Projektionsfläche. Und sie war höchst sichtbar, es heißt sie hat ja auch ihre Karriere sicherlich gemacht, weil Raketentechnik und Filmtechnik so eng zusammen waren, aber das, was sie wirklich macht, das sieht man gar nicht, das ist paradox. Sie ist auch heute noch, auch in der Spacenight, mit sieben Kameras auf sie gerichtet, ob sie es wohl schafft oder ob sie wieder einen Fehlstart macht, sozusagen eine der attraktivsten Hauptdarstellerinnen, …
Kluge: Feuerwerkähnlich.

Bramkamp: Meine Hauptdarstellerin mußte da ja richtig dagegen ankämpfen.

Kluge: Aber das Feuerwerk ist nicht das Wesentliche? Der Rückstoß ist das Wesentlich, denn den sieht man nicht.

Bramkamp: Das Feuerwerk ist nicht das Wesentliche, denn das sieht man nur bei den Fehlstarts, aber das wäre dann auch ein mißlungenes Feuerwerk. Nein, ich glaube, es ist das Spektakel, dieses kleiner werden, dann hört man eigentlich nur noch Geräusche, Pegeltöne, die immer höher werden bis sie ein ohrenbetäubendes Pfeifen werden, Zahlen, und bei 392 hört man dann einfach nur noch:
„Einschlag!“ Das kann man sich gar nicht vorstellen, irgendwo, 380 Kilometer entfernt, na ja 280 …

Kluge: Von Peenemünde gerechnet.

Bramkamp: Damals in Peenemünde halt im Meer ein blauer Fleck, später natürlich ein Einschlag in London oder Antwerpen, den man nicht gesehen hat, den man nicht gehört hat, einfach irgendwo im zivilen Leben eine Explosion, über sechs Wochen hat die Londoner Bevölkerung gedacht, dass sie es mit unerklärlichen großen Gasexplosionen zu tun haben, weil sie diese Rakete weder gesehen noch gehört haben, die war zu schnell.
Kluge: Die ist schneller als der Schall.

Bramkamp: Die ist fünfmal schneller als der Schall, beim Ankommen vielleicht dreimal schneller, d.h., man hört eine Explosion und wer überlebt hört dann in einem Himmel, in dem aber nichts mehr ankommt, nacheilend ein Heulen.
Damit beginnt ja auch Pynchons Roman mit diesem: „Ein Heulen kommt über den Himmel“, wie der Geist, Vampir. Er betont das auch. Der Körper ist schon längst weg, es kommt nur noch dieses Schallgebilde.
Kluge: Pynchon ist ein Autor. Wenn Sie mir den einmal beschreiben.

Bramkamp: Das ist ein amerikanischer Autor. GRAVITY’S RAINBOW, also der Regenbogen der Schwerkraft, oder zu Deutsch: „Die Enden der Parabel“ gilt als sein Hauptwerk. Das ist ein sehr verschlungener Roman, der im Grunde die Rakete beschreibt …
[eingeblendet das Buch von Thomas Pynchon: GRAVITY’S RAINBOW, auf dem Umschlag drei Fotos eines jungen Mannes in verschiedenen Lebenssituationen]

… als einen technischen Moment, also die Erfindung der Rakete in Deutschland. Er setzt im Grunde an sämtlichen Entwicklungen des Abendlandes an, also sagen wir einmal die Spitze der Kathedralen und die Spitze der Rakete, das setzt er in Beziehung.
[eingeblendet eine Rakete mit Flügeln, darunter der Text:]

A 9 = Antipodengleiter / Oberths PLAN

Kluge: Und „A 4“ oder „A 5“ wäre von Oberth die Idee gewesen, eine Rakete in die Stratosphäre zu schießen, die wie ein Stein auf dem Wasser springt, so auf der Lufthülle der Erde springend New York erreicht und mitten in die Wolkenkratzer hinein.
[Kamera zurück auf Robert Bramkamp]

Bramkamp: So ähnlich. Ich glaube „A 9“, also „A 9“.

Kluge: Das war ein Versuch, 1952 wäre sie fertig gewesen.

Bramkamp: Ungefähr so was. „A 9“ war sozusagen die „A 4“ mit Flügeln, die hätte so hüpfen können, das war der Versuch, so eine Mischung aus Rakete und Gleiten und da gab es noch ein Sänger-Projekt, das sollte wirklich von außen immer auf die Atmosphäre hüpfen wie …
Kluge: Von dem Raketenspezialist Sänger, Eugen Sänger?

Bramkamp: Ja, und die „A 10“ war dann wirklich die New York, Amerika – Rakete, die aber nie gebaut wurde.

Kluge: Aber einen starken Hoffnungsstrahl hatte aus der alten Festung noch zuletzt, so wie die Nibelungen noch eine große Zerstörung hinterlassen, wäre das die Grundidee gewesen, die beinahe Hitler veranlaßt hätte, sich noch aus dem Bunker in die alte Festung transferieren zu lassen?
Bramkamp: Ja?

Kluge: Hätte ihn dort die Rakete erwartet.

Bramkamp: Ich glaube, man muß natürlich eines sehen, die Leute aus Peenemünde, die das entwickelt haben, die haben natürlich genau gewußt, was sie machen. Etwas anderes ist dann noch immer der Fronteinsatz gewesen, der nach dem 20. Juli komplett in die Hände der SS überging, das waren zwei Wirklichkeiten, obwohl die natürlich kooperiert haben, und wie immer man das beurteilt, das waren zwei Versuche, dieses: bis zum Anfang April schießen wir „A 4“ Raketen nach London, das war eine andere Motivation als die der Ingenieure, die zu diesem Zeitpunkt schon längst daran gearbeitet haben wie sie nach Amerika kommen, um dann da weiter zu bauen.

Kluge: Eigentlich wollten sie ja die Sternenfahrt proben.

Bramkamp: Ja, ich glaube, diese Phantasmen, ob es nun zu anderen Planeten geht oder ob es um die finale Fernwaffe geht, bei der ich nicht mehr dabei sein muß, die selbst sozusagen wie ein „Engel des Todes“ kommt und für mich die Arbeit macht, ich muß mir das nur noch gruselig ausmalen.
Kluge: Ich muß nur noch Friedensforderungen stellen.

Bramkamp: Ja, wenn sie weg ist. Wir müssen jenseits von jeder Argumentation, wie es ja dann auch war, auch automatisch starten.

[eingeblendet der Text:]

Regenbogen der Götter / Die Rakete, eine Idee der Kelten

Bramkamp: Da finde ich übrigens auch die Argumentation von Pynchon interessant zu sagen: die Deutschen haben ihren Job erledigt. Es sind internationale Interessen, die entscheiden wann wo welche Technologien entwickelt
werden …

[Kamera zurück auf Robert Bramkamp]

… und die deutsche Kultur war hervorragend geeignet so etwas wie die Rakete, mit Rilke im Vorlauf, mit schrecklichen Engeln, „oh wie spurlos zertrete ich euren …“

Kluge: „…den Himmel durchstreifen … eine Idee aus Mitteleuropa..“

Bramkamp: Absolut. Und weiter hinten dann noch diese schöne Entdeckung, die haben wir dann im Film auch, haben mit dem Kelten – und Sugamberer-Stamm aus Essen gesprochen und deren Chef, Herr Böhm, hat uns dann wunderbar erklärt, was es mit diesem Regenbogen auf sich hat.
Kluge: Wenn die Götter nach Walhall gehen.

Bramkamp: Die tote Seele. Also exakt diese Parabel, diese regenbogenartige Flugbahn, das gibt es auch bei Veit Harlan, diese Brücke, die hinüberschwingt, ich habe es dann irgendwann einmal gesehen, dieser gefrorene Blitz, oder wie sie es genannt haben, steigt auf und lief hinüber und in diesem Zusammenhang ist natürlich dann die … Walhalla, das ist genau die nachgebaute Flugbahn. #Es kommt auch so wie heilige Orte, das waren abgeschlossene Waldlichtungen, da gibt es dann diese schönen Berichte, das sind alles so seltsame Indizien, die Rakete ist abgeschossen und langsam gehen die Soldaten auf die Lichtung, die chronisch leer wirkt. Da hat man das schon wieder, es wurde mehr abgeschossen als eine Rakete.
Kluge: Auch die Beerdigungsriten bei Wikingern und Kelten gingen ja so, dass das Schiff noch einmal mit dem Rückstoß der Trauer und mit Pfeilen in Brand gesetzt, aufs Meer hinausfährt, sich trennt, Adieu sagt.
Bramkamp: Ja, genau. Das ist so tief eingeschrieben, diese Rituale, dieser Beerdigungsvorgang, dass ich mich umgekehrt gefragt habe, wenn man weiß, diese Rakete kommt aber aus so einem KZ wie dem KZ Dora – Mittelwerk, wo …
Kluge: Unter den Bergen des Kyffhäuser, dicht neben dem Kaiser Barbarossa …

Bramkamp: Aber 80 Kilometer weiter, sehr nahe…

Kluge: Im Geiste.

Bramkamp: … im geistigen Sinne sehr nah …

[eingeblendet eine Fabrikhalle, darunter der Text:]

Raketenfabrikation im Lager DORA – Mittelwerk

… In der kritischen Geschichtsschreibung hat man eigentlich ja bestenfalls diese Feststellung, …

[KZ-Insassen in gestreifter Kleidung setzen an einem langen Tisch Raketenteile zusammen]

Bramkamp: … bitte denkt daran, diese Technik, wie immer wir sie verstehen oder wie weit wir sie verstehen, sie kommt aus einem KZ, in dem die Lebenden und die Toten …
[KZ: Männer tragen Tote, an beiden Armen und Füßen festhaltend oder auf Stangen gelegt über das Gelände, legen sie nebeneinander auf die Erde, richten mit langen Stangen die skelettartig abgemagerten Körper aus / weitere Männer in Zivilkleidung kommen hinzu, tragen Tote herbei, Militärfahrzeuge auf dem Gelände / darunter der Text:]
Tote aus den Fabrikationstunnels unterhalb des Harzes

… und die Sterbenden in diesen Schlafstollen durcheinander lagen. Da denke ich schon, ist es eine interessante Frage weiter zu überlegen, gibt es noch eine andere Verbindung, ist es Zufall, ist es durch Kriegswirtschaft bedingt, oder gibt es eine Verbindung, dass sozusagen in diesem Beerdigungsritual Rakete auch ein Unsterblichkeitswunsch drin steckt, der sich aber selbst so mißtraut, der diesen Bombast braucht, um sich das glauben zu können, dieses ja, wir haben den Tod bezwungen, brauchen wir nicht mehr, dass er sozusagen für die alte Existenz, ….
[Kamera wieder auf Robert Bramkamp:]

… für die alten, die noch in ihrem Körper stecken und noch sprechen müssen, solche Szenarien bereitstellt und selbst daran vorbeigehen kann, damit er die Differenz spüren kann, also wer so größenwahnsinnig oder hybrid, oder, man kann es auch nicht nur verurteilen, denn dieser Unsterblichkeitswunsch, wer kann sich denn wirklich davon frei sprechen, also Vorsicht. Es hängt ja in der Luft, dass die, um diesen Wunsch zu verteidigen, das anrichten mußten und andere mußten sozusagen auch schauspielmäßig in einem Elend, was dann auch nicht mehr betrachtet wurde, so wie wir heute sagen würden: das ist ja die alte Existenz, das sind ja nicht mehr die Menschen, die wir sind, das ist ja so wie bei BSE, diese Haufen. Diese Trennung, dieser Astralleib Rakete, stellvertretend für die Unsterblichkeitswünsche dieses Beerdigungsrituals rüberliefern, und was ist dann dieses Walhalla? Ich glaube, da ist etwas neues entstanden seit der Rakete, dieses Weltraum- Walhalla, also auf der germanischen Frequenz fliegt die Rakete mit dem Regenbogen durch das Tor #Walgrind nach Walhalla und da ist es ewig kalt. Da ist man dem Elendsleben, dem Körper der Verletzlichkeit …
Kluge: Das tun die Raketen aber gar nicht.

Bramkamp: Sie beschwören aber ein Weltraum- Walhalla, indem sie ankommen. Und jetzt ist die große Frage, da ist diese Bildwelt, die sie beschwören, wollen die denn wirklich zum Mars? Oder ist das, was auch in der Spacenight läuft, was heute auch läuft, oder was auch bei MND ablaufen wird, diese Art Oper im Weltraum, diese Schiffe mit ihrer Beerdigungslast an Bord, die da unterwegs sind auf eine gewisse Weise auf der Suche nach einem Friedhof, wahrscheinlich aber nach einem Friedhof für Unsterbliche.
Kluge: Nach einem Friedhof, nach einem Ziel, nach dem endgültigen Feind, wenn alles tot ist, denn das ist ja im Kalten Krieg die wirkliche Drohung, dann sind noch Racheengel unterwegs.

Bramkamp: Es sind noch Racheengel unterwegs, aber auch Hoffnungsengel, denn die wollen hinüber, die wollen in eine andere Sphäre. In dem Zusammenhang ist interessant, dass die Amerikaner, das ist ja völlig untergegangen, auch um die Ambivalenz der Rakete stark zu halten gibt es dieses Pendeln zwischen zivilen Meisterleistungen und Einschlägen, also jetzt vor kurzem wieder Einschlag in Kabul, die freie Welt schlägt zurück, in sechs bis acht Wochen kommt wieder eine zivile Meisterleistung, die Bild-Zeitung schreibt: der erste Mensch auf dem Mars wird ein Deutscher sein, also die zivile Nutzung des Weltraums. Dies Pendeln gibt es und in diesem Pendeln haben die Amerikaner quasi 1999 eher unbemerkt die erste Beerdigung auf dem Mond real durchgeführt.
Kluge: Wie haben sie das getan?

Bramkamp: Ja, auch geschickt getarnt. Sie haben gesagt, wir suchen wieder neues Leben. Frage: wo ist das? Ist das auf einem anderen Planeten, ist das in anderen Sphären, ist das technisches Jenseits, wir suchen neues Leben, in diesem Fall Wasser auf dem Mond. Wir lassen eine Sonde auf die Polkappen einschlagen, aber in dieser Sonde war auch eine kleine Urne und in der Urne war die Asche eines Raketenfanatikers oder Enthusiasten aus Kalifornien.
Kluge: Der hat sich dort verewigt?

Bramkamp: Beides ist eingeschlagen auf dem Mond und dann wollten sie diese Wolke sehen, und die wollten sie von der Erde aus beobachten und wollten dann wieder #Unterwasserspuren sehen und das ist vielleicht das emphatischste für die ganze Rakete. Sie haben diese Wolke, wo sie Lebensspuren drin messen wollen, und sie messen die Asche eines Toten im Mondstaub, der das absolute radikale Gegenteil von Leben überhaupt ist, messen sie in Wirklichkeit durch. Da war eigentlich die maximale Ambivalenz und gewiß auch die Verzweiflung, die da drin sitzt, wie das immer wieder schief geht. Letzten Endes, würde ich sagen, ist dieses Weltraumszenario, was wir heute als Bild haben, ist eine Art Weltraum- Walhalla. Das ist aber nur die Bebilderung einer eher bilderlosen Zone, technogen überlebensverschmolzen in irgendeiner Weise mit der Maschine und das wird in Deutschland zur Zeit gebaut. Das ist weiter hinten im Film, das heißt Bremer Hose, da sind schon die Einstiegsluken, und ich glaube, dieses Weltraum-Walhalla ist nur noch das Bild für eine Zone, die auch erschrecken würde, wenn man anderswo offen Propaganda dafür machen würde und so eindeutig daraufhin zusteuern würde.
[eingeblendet eine Fabrikationshalle, relativ leer / die Hauptdarstellerin des Films im Vordergrund, verschwommen, /schemenhaft: ein Mann / Fabrikhalle in der Totale / Ausschnitt: ein bärtiger Mann an einem Tisch, auf einer Bahre ein Toter / eine Vakuumröhre aus Metall, Geräte / Ein Mensch in der Vakuumröhre, der Mann mit Bart hantiert an der Röhre, verbindet Schläuche mit der Röhre, überprüft Ventile, stellt Messgeräte ein, darunter der Text:
Inga Busch, Hauptdarstellerin in PRÜFSTAND 7 als „Geist der Rakete“

Sprecherin (Off): Die Bremer Hose hilft beim Überleben im All und ermöglicht dabei eine Verschmelzung von Mensch und Maschine, die auf der Erde benötigt wird. Professor Beisch ist der einzige Deutsche, der Menschen real mit der Maschine verschmelzen und so über die Grenze schicken kann, aber noch nicht für immer.
Sprecher (Off): Der Unterleib wird in der Bremer Hose einem Vakuum ausgesetzt. Der Sog simuliert die Schwerkraft. So kann im Weltall der Wechsel zwischen irdischer Existenz und dem Überleben in einer technisch artifiziellen Umgebung trainiert werden.
[eingeblendet ein Forscher mittleren Alters, grauhaarig, vor dem Hintergrund des Alls, er erläutert:]
Forscher: Wir benutzen die Sonde als eine Bombe, wie man es so sagen kann.

[eingeblendet eine blau-gelbe kleine Sonde, die zwischen hellen Mondkratern sich einen Weg sucht, die Urne kommt näher, fährt ihre Fühler aus, wird größer, stürzt ab und explodiert / Groß: die Oberfläche des Mondes, hell leuchtet die explodierte Sonde / darunter der Text:]
Urnen mit sterblichen Resten unterwegs zum Mond

Sprecher (Off): Den Forschern ging es darum, eine sichere und anständige Beerdigungsmethode zu finden.

anderer Sprecher (Off): Zwei Tage nach der Mondbeerdigung entdecken die Amerikaner auf dem Planeten Mars ein riesiges steinernes Herz.

[eingeblendet groß der Planet Mars, rechts seitlich oben ein kleiner roter Planet]

Kluge: Wenn Sie mir mal die Personen beschreiben, die diese Raketen in Peenemünde entwickeln, kurz den General Dornberger.

Bramkamp: General Dornberger, gespielt von Mathias Fuchs.

Kluge: Generalstabsoffizier. Bramkamp: Wehrmachtsoffizier, … Kluge: Logistiker.
Bramkamp: Ja, der kommt praktisch aus der Notlage heraus, dass er nach dem Versailler Vertrag Fernwaffen braucht, die Artillerie aber verboten ist nach gewissen Kalibern und entwickelt dann direkt nach der Machtergreifung ,…
[eingeblendet das Foto General Dornbergers, seitlich davon der Text:]

General Dr. Walter Dornberger, Heereswaffenamt

…werden private Raketengruppen unterdrückt. 1936 beginnt in der großen Heeresversuchsanstalt Peenemünde die Raketenentwicklung.

[eingeblendet ein S/W-Foto: Ein älterer Offizier
und ein junger Mann im Abendanzug, Fliege, betrachten eine Karte, lächeln]

Kluge: Ein hagerer Mann, auch wenn er keine Uniform trägt, als Offizier kenntlich ist, kameradschaftlich.

[Kamera zurück auf Robert Bramkamp]

Bramkamp: Ja. Ein kameradschaftlicher Mensch, ein guter Organisator, eine väterliche Figur für dieses ganze Unternehmen, was ja sonst eher von Teenagern durchgeführt wird, d.h. es sind junge Ingenieure, Rechenmädchen, sie sind zwischen 20 und 35, das ist so die Altersgruppe. Dornberger war militärischer Leiter, von Braun war wissenschaftlicher Leiter. Im Grunde ist das sozusagen eine Teenagerbande, die in einer Zukunftsstadt sitzt mit Segelbooten, mit Strand, mit elektrischer S-Bahn, mit Mustersiedlung.
Kluge: S-Bahn nur fürs Werkgelände?

Bramkamp: Nur fürs Werk hatten die eine Bahn wie in Berlin, eine elektrische S-Bahn, die haben
10.000 Leute ja morgens zur Arbeit gefahren, die schnellsten Windkanäle der Welt und alles im schwungvollen Stil der Luftwaffe. Das war eine Zukunftsstadt, die Organisation Todt hat sich dann noch beschwert, hat unbedingt die Einführung von Barackenbaustil verlangt, keine Chance. Das war Happyland, das war der deutsche Traum, 30 Jahre in die Zukunft gegriffen, eigentlich ein frühes Stück Kalifornien.
Kluge: Da ist so viel Energie, so viel Jugendkraft drin, dass sie auch noch die Wende zum Gegner schaffen 1945, das ist ja die einzige Gruppe, die ja nach Rußland hin und vor allem nach USA sich voll durchtransferiert hat.
Bramkamp: Vor allem in die USA, weil dieses Projekt da weiter ging, auch dieses Projekt einer …

Kluge: Das mußten sie ihnen doch erst beibringen, was ihr Nutzen ist. Das gelang.

Bramkamp: Laurence Rickels sagt, dass die Amerikaner eigentlich bis zum Golfkrieg gebraucht haben, um diese spezielle deutsche Raketenfrequenz zu begreifen und aktiv …
Kluge: Die Luftwaffe wollte sie gar nicht haben, zur Army mußten sie, sie wurden wieder zurückgestuft zur Artillerie und mußten langsam denen beibringen, als eine Gruppe, die fest zusammen hält, die waren ja vernetzt, …

Bramkamp: Aber rübergegangen ist sozusagen erstaunlicherweise dieses Stadtmodell, dieses Modell „alles unter einem Dach“ als Modell jetzt für die wissenschaftliche Dimension. Die Russen sagen, das war die interessanteste Technologie, die sie sich aus Peenemünde geholt haben und daraufhin haben sie ihre Wissenschaftsstädte gebaut. Während die Amerikaner im Grunde wirklich die 121 führenden Ingenieure rübergeholt haben, also die Russen, die Entwicklungsform oder die Anlage, die waren dann sehr schnell autonom, die Amerikaner die Ingenieure. Und bis zur Mondlandung sozusagen gibt es dann noch so Wörter wie Brennschluß usw., das sind ja deutsche Wörter.
Kluge: Was ist Brennschluß bei einer Rakete?

Bramkamp: Die Rakete hat ja sozusagen ein sehr kurzes Leben, jedenfalls diese Ur-Rakete, heute ist es ein bißchen anders, aber tendenziell ähnlich. Also in sehr kurzer Zeit wird ja sehr viel Energie umgesetzt und bei diesen Ur-Raketen war das so, dass die zwischen 55 und 60 Sekunden nur brennen konnten, dann waren diese 4 Tonnen Alkohol und 4 Tonnen Sauerstoff verbrannt und je nachdem, plus minus ein paar Sekunden, das mußte ganz genau getimet werden, wenn der Brennschluß kam, dann wurden die Leitungen gekappt, die Rakete war an einer bestimmten Stelle ihrer Flugbahn und hatte eine bestimmte Geschwindigkeit und damit war klar, wo sie ankommen würde. Das erfolgte aber auch komplett automatisch, da hat Kittler auch mal was dazu geschrieben, durch ein zweifaches Integrieren, und die hatten eine Art Analogrechner, das war der erste fliegende Computer an Bord, der hat zweifach integriert, die Rakete wußte gar nichts, die hat nur irgendwie Beschleunigung festgestellt und in einem ganz bestimmten Moment schneidet sie ab, die ist so abgekoppelt vom Sichtbaren, dem was wir sehen, eigentlich sind es nur noch vorübergehend gasförmige flüssige rechnende Signalströme, von außen sieht es noch so simpel phallisch aus, …
Kluge: Es ist ein Geist.

Bramkamp: Es ist ein Geist, deswegen … Kluge: Es stört oder rettet. Kann man mitRaketen auch retten? Bramkamp: Ich glaube schon. Kluge: Gibt es kein Beispiel? Bramkamp: Nein.
Kluge: Was war so schwer da dran?

Bramkamp: Schwer war zum einen, dass man sich vorstellen muß, in den vierziger Jahren gab es nichts Überschallschnelles, d.h. sie mußten erstmals einen Körper bauen, der die Schallmauer durchbrechen konnte, der war vier- oder fünfmal schneller als alles was es gab zu der Zeit und sie wußten überhaupt nicht, denn noch Jahre vorher hatten Leute gesagt, jenseits der Schallmauer zerlegen sich die Atome oder so oder Sonnenstrahlen werden das Metall vernichten, keine Ahnung, was passieren wird. Das war ein großes Erstaunen, als die Rakete das erstmals die Schallmauer durchbrach.
Kluge: Es passierte gar nichts außer einem Knall. Es ging weiter jenseits der Schallmauer.

Bramkamp: Es passierte gar nichts. Sie zerbrach nicht. Dann hatten sie diese seltsame Erfindung, die ich auch nutze als Metapher, die Schleierkühlung oder die Filmkühlung.

Kluge: Was ist das?

Bramkamp: Die Schleier- oder die Filmkühlung ist im Inneren dieses Triebwerks, was nicht umsonst oder mit einer seltsamen Assoziation Ofen heißt, vampiristisch, der ist aus Stahl, doppelwandig, und er wird nochmal gekühlt von sehr kaltem Alkohl, der ist durch den flüssigen Sauerstoff durchgeflossen, also sehr kalt, das reicht aber nicht und ein Teil des Alkohols wird eingespritzt in den Ofen und bildet jetzt an der Innenwand dieser Brennkammer einen hauchdünnen Film, Flüssigkeitsfilm, der die ganze Zeit abbrennt und das ist eigentlich diese Erfindung, die sagt, wir müssen einen großen Teil Energie dafür aufwenden, um diese Trennung zwischen der 3200° heißen Flamme und dem banalen bei 800° schmelzenden Stahl aufrechterhalten zu können. So kriegen wir zwar dieses Triebwerk in Funktion, es hebt auch ab, aber allein um diese fast widersinnigen Zustände zusammenbringen zu können und zu zwingen, dass sie zusammenarbeiten, geht uns doch ein erheblicher
Bestandteil der Energie verloren und das heißt Schleier- oder Filmkühlung.

[eingeblendet der Text:]

How can it be? It’s steel, parts and plastic. And suddenly it’s living, the next
moment it’s only parts again. (Thomas Pynchon)

Also man weiß, an was die Deutsche Gesellschaft für Luft- und Raumfahrt heute forscht, eine Maschine namens „Atem“ gibt es, eine Maschine namens „Bremer Hose“, die im Grunde schon …

Kluge: Bremer Hose, was bedeutet das?

Bramkamp: Die „Bremer Hose“, das ist quasi so ein Gebilde, das irgendwie Leben auf der internationalen Weltraumstation fördern soll, insbesondere Training ermöglicht, wenn man zurückkehrt zur Erde. Da steckt im Grunde der Unterleib in so einer Art Röhre drin und da wird Vakuum darauf gegeben und damit kann man dann sozusagen Kreislaufbeanspruchungen extremsten Ausmaßes simulieren, die wieder mit dem System „Atem“, Atem ist schon dermaßen mit Sonden mit dem Körper des Astronauten verbunden, dass man sagen kann, alle Parameter werden onlinemäßig dieses Körpers mitgerechnet und sobald das kritisch wird, steuert die gegen.
Also da kann man schon eigentlich eher sagen, die Maschine steuert den Körper, als dass der Körper noch Hilfe von der Maschine bekommt.

Kluge: Das heißt also, da sitzen die Insassen der Weltraumstation …

Bramkamp: Und treiben im luftleeren Raum in ihren „Bremer Hosen“ durch die Gegend und werden mit Vakuum bis an die Grenze der Belastbarkeit ausgesetzt. Wenn man es übertreibt, sterben sie auch, da haben wir wieder diese interessante Ambivalenz auch in dieser Sache. Das hat der Professor Beisch …
Kluge: Das ist ja eine Art Weltraumsport oder wie faßt man das auf?

[eingeblendet der Abspann:]

 

DER GEFRORENE BLITZ / Filmemacher Robert Bramkamp über den MYTHOS DER RAKETE

Bramkamp: Es ist sozusagen die Verbindung, früher gab es ja immer noch diese Trainingsräder und Übungsgeräte und diese „Bremer Hose“ oder …
[eingeblendet das Farbbild einer aufsteigenden Rakete über einem Regenbogen in die Wolken. Seitlich davon der Text:]

Thomas Pynchons GRAVITY’S RAINBOW gewidmet

… ist eigentlich die Verbesserung davon, aber auch der Umstieg. Sie ist sozusagen gleichzeitig die absolute sinnliche Verkörperung, wenn man nach dieser Einstiegsstelle …

Kluge: Des Lebens im Unmöglichen.

Bramkamp: … im Unmöglichen, oder man kann auch sagen, der Einstiegsstelle des Menschen in den technischen Körper sucht.