Der Regisseur Robert Bramkamp wird Thomas Pynchon gerecht: „Prüfstand 7“
Eine Rakete ist eine Rakete ist eine Rakete. Sollte man meinen. Aber nein. Die Rakete, so lehrt uns Thomas Pynchons Roman „Die Enden der Parabel“, hat einen Geist. Er ist weiblich und heißt Bianca. Mit ihrem unguten Hang zur Selbstzerstörung hat die Rakete diesen Geist freigesetzt. Nun reist er noch sechzig Jahre nach dem ersten Start durch die Zeitgeschichte, auf der Suche nach der Lösung für das Rätsel Rakete. Dem Geist nämlich, und das ist jetzt nicht ganz einfach, fehlt „das Hirn“, dem er entsprang. Der Erbauer ist verschwunden, gemeinsam mit all den Kräften und Mächten, die seine Erfindung vorantrieben. Was bleibt, sind eine Menge Fragen. Die Antwort, meint Bianca, liegt in Peenemünde auf Usedom, der Geburtsstätte der V2, Hitlers wahnwitziger Wunderwaffe. Unter einem Haufen Schrott.
Wer diesen abgefahrenen Geistestrip für höheren Unfug hält, sollte die Kultfibel spintisierender Technik-Freaks nicht lesen. Auch von Robert Bramkamps filmischer Umsetzung sollte er die Finger lassen. Denn dem postmodernen Geist der Vorlage wird Bramkamp durchaus gerecht. „Prüfstand 7“ ist keine saubere Dokumentation jenes halb geglückten, halb gescheiterten Raketenprogramms der Nazis, das im Endspurt des Zweiten Weltkriegs den Vorsprung durch Technik sichern sollte, sondern eine assoziative Bildmontage auf den Spuren der Rakete, die das Buch gleichsam fortschreibt. Dazu eine ironisch verspielte Dokumentarfiktion, die nicht nur quer durch Deutschland düst, sondern mitten durch Mythos und Wirklichkeit, Faszination und Wahn.
Im Park von Peenemünde kommt Bianca, verkörpert von der Schauspielerin Inga Busch, nicht weiter. „Hallo“, ruft sie in die Rakete. „Hier ist nichts drin“, antwortet der Mechaniker aus dem hohl tönenden Ausstellungsstück. Dass der saubere Raketenbauer Wernher von Braun vom schrecklichen Los seiner Zwangsarbeiter wissen musste, ist bekannt. Aber was trieb den Mann dazu, sich auf einer einsamen Waldlichtung seiner Schöpfung entgegenzustellen? Da zeigt uns Bianca doch lieber ihre „Lieblingsfehlstarts“ – und eine Kopie von Fritz Langs utopischem Stummfilm „Frau im Mond“. Der deutsche Mythos wird Bild: Hier wurde der Countdown erfunden. Als mondsüchtige Filmdiva schlüpft die Historikerin ins Plakat und wittert Verschwörung. Haben Zensoren die verräterischen Baupläne aus dem Film entfernt?
Das Rätsel Rakete bleibt im Film ungelöst, wie auch in Pynchons Erzählung, wo Bianca übrigens nur eine Nebenrolle spielt. Der Griff zum Buch und einige Spielszenen erschließen jedoch die symbolische Dimension der Sache. Nach einem Zusammentreffen Biancas mit dem paranoiden Helden Slothrop künden dessen Erektionen vom Start der nächsten Rakete.
Der glänzende Hohlkörper ist also alles zugleich: begehrter weiblicher Körper und Riesenphallus. Symbol für den menschlichen Willen zu Schöpfung und Vernichtung. Hysterisches Zeichen für alles, was nicht zusammengehört und durch den Parabelflug der Rakete für immer miteinander verbunden wird.
Das ist nicht ironisch? Mitnichten, wie schon die Entstehungsgeschichte des Films zeigt. Von Pynchon selbst will Robert Bramkamp die merkwürdige Erlaubnis erwirkt haben, Teile des Romans verfilmen zu dürfen. Wer den großen Unsichtbaren des Literaturbetriebs kennt, kann das nur für einen seiner schlechten Scherze halten. „No one films Pynchon!“ heißt es auch in Hollywood. Bramkamp, Dozent an der Hochschule für Film und Fernsehen in Babelsberg und offenbar ergebener Fan des Dichters, setzt sich zuweilen sogar dem Vorwurf der Peinlichkeit aus. Biancas bohrende Fragerei wirkt mehr als unbeholfen; anstelle seines Vorbilds Alexander Kluge erreicht Bramkamp mit seiner Billig-Ästhetik eher Schlingensiefs Krawallkino. Aber das Raketenprinzip des selbstverständlich unverfilmbaren Buches hat Bramkamp begriffen: Mühsam zusammengeführte Teile brechen wieder auseinander, ein Fehlstart kann zum Ziel führen.
Der Geist lebt.
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