”Tiefenpsychologie und Hochstapelei”: Diese Schlagzeile aus einem ,,ZEITMagazin” trifft das Thema dieses Erstlingsfilms — zumindest in den ersten 50 Minuten -. genau auf den Punkt.
Deutschland 1994, Produktion: WÜSTE Filmprod./Robert Bramkamp Prod./premiere. Regie und Buch: Robert Bramkamp, Kamera: Ekkehart Pollack, Musik: Ulrich Eller, Paul Haubrich. Schnitt: Renate Merck, Wolf-Ingo Römer. Darsteller: Peter Lohmeyer (Mark Stroemer), Karina Fallenstein (Wolke Donner), John S. Mehnert (Jacoby), Matthias Fuchs (Dr. Konstantin), Fransziska Pinotz (Carolin). Andreas Rädler (Dr. Lang). 79 Min.
„Tiefenpsychologie und Hochstapelei“: Diese Schlagzeile aus einem „ZEITMagazin“ trifft das Thema dieses Erstlingsfilms – zumindest in den ersten 50 Minuten – genau auf den Punkt. Schon in der ersten Einstellung tut Peter Lohmeyer als Psychotherapeut Stroemer alles, um sich unsympathisch zu machen. Als herrschsüchtiger und berechnender Scharlatan platzt er von seinem erhöhten Büro aus in eine laufende Gruppentherapie-Sitzung, fährt den „Hilfstherapeuten“ an, tyrannisiert die Gruppe und verschwindet wieder. Die Sitzung wird mit Hilfe einer Videokamera festgehalten, die Therapierten haben die Wahl: sie können jedes beliebige Gruppenmitglied küssen oder ohrfeigen. Unter den Augen Stroemers entscheidet sich ein junger Mann für letzteres, obwohl seine Gefühle zu der geschlagenen Frau eher warmherzig scheinen. Vier Jahre später: Die Geohrfeigte hat per Computermenü ihr Aussehen verändert und wird als Wolke Donner wegen ihrer Schlagfertigkeit zur Stroemers Assistentin. Karina Fallenstein spielt diesen „Racheengel “ wunderbar lakonisch: eine verletzte Frau. die ihrem Therapeuten das Handwerk legen will. Ein Undercover-Spiel – eben die ersten 50 Minuten lang.
Stroemer hat sich inzwischen auf die Einzeltherapie von besonders schwierigen Fällen verlegt. Doch auch diese reizen ihn nur aus Sammelleidenschaft, denn eigentlich ist er daran interessiert, die originellsten Fälle für seine Bücher auszuschlachten, in denen er eine neue Therapie-Kultur beschwört. Dabei läßt er seine Assistentin ungeniert aus den Therapie-Tagebüchern seiner Klienten abschreiben. Stroemer geht es bei seinen „Fällen “ um reine „Buchfähigkeit „. Wer nicht interessant genug ist, wird abgestoßen. Mit dem Ergebnis, daß der fiese Therapeut systematisch von ehemaligen Klienten verfolgt wird, die sich entweder an ihn heranwerfen oder aber sich an ihm rächen wollen.
Spannung und Witz bezieht der Film aus einer temporeichen Inszenierung und einem sich an Einfällen überschlagenden Drehbuch. Dabei ist „Die Eroberung der Mitte“ der wohl mit Abstand dialoglastigste deutschsprachige Film der letzten Zeit. Daß dies den Film nicht von vornherein diskreditiert, spricht für ihn – zumal er neben der Sprache mit keinen sinnlichen filmischen Mitteln aufwartet. Selbst bei einschlägiger Vorerfahrung bieten die von Stroemer und Wolke Donner therapierten Einzelpatienten jedoch jede Menge überraschender Ticks. Robert Bramkamp ist begabt und Chamäleon genug. um tief in diverse Spielarten medizinischer und psychologischer Fachjargons einzusteigen. Da geht es im Gespräch zwischen Simulanten und Therapeuten um „Franksche Herde “ und „hypostase Raumforderungen“, um Außen- und Innenseiter und darum, warum es letztere in Deutschland nicht geben könne.
Aber die Lust, Klischees aufzubauen und blitzschnell wieder zu zerstören, der Handlung immer noch einen neuen Kick zu geben und die Zuschauer in einem irritierenden Schwebezustand ohne klare Identifikationsfigur zu halten – all das fällt letztlich auf den Film zurück. Bramkamp versteht sich wohl als eine Art neuer Alexander Kluge; was als geniale Satire angelegt ist, wird aber zunehmend verworren und konfus: Stroemer ist zuletzt gar kein Scharlatan mehr, ihm gelingt ein therapeutischer Coup sondergleichen. Auch wenn Stroemers Diagnose nicht sein eigenes Verdienst ist, kann er die Frau, die ihn bekämpft, beeindrucken. Im letzten Filmdrittel tauchen plötzlich neue obskure „Hintermänner“ auf: die Vorstandsetage einer großen Versicherung läuft Stroemer den Rang als „best bad boy“ ab und versucht, zunächst Wolke Donner, dann Stroemer selbst anzuheuern. Zum Schluß will Stroemer nur noch „denken „, und die beiden gehen davon wie das Liebespaar in der letzten Einstellung eines Genrefilms.
Das ist sicher viel zu banal beschrieben, umreißt den vom Film affichierten Anspruch nur oberflächlich. Schließlich geht es da noch um die ,“Eroberung Amerikas“ als Metapher für wer weiß was, man lernt, daß Krebs nur eine mögliche Antwort des Körpers auf unbewältigte Krisen ist, daß Krisen aber auch anders psychisch verarbeitet werden können, wenn auch nicht mit Stroemers Art von Therapie. Der Film will gleich eine ganze Gesellschaftsanalyse mitliefern und wird dadurch so maßlos, daß die propagierte „Lust am Denken“ einfach nicht aufkommen will. Aus der erstrebten realistischen Balance zwischen individueller und Milieuprägung fallen die Figuren trotz starker schauspielerischer Leistungen in ein kraft fortgesetzter Irritation und Konfusion bereitetes Niemandsland der Zuschauergehirne. Der Betrachter kann zwar manch intellektuelles Puzzlespiel mit diesen Teilen betreiben, wird beim Zusammensetzen aber alleingelassen.
Eine therapiegeschädigte Frau wird Assistentin ihres einstigen Therapeuten, der sich auf die schamlose Ausbeutung seiner Fälle verlegt hat, und versucht, ihn mit allen Mitteln zu bekämpfen. Ein dialoglastiger Film mit guten darstellerischen Leistungen, dessen Versuch einer ,“ganzheitlichen Gesellschaftsanalyse“ jedoch verpufft. Das ambitionierte intellektuelle Puzzle läßt sich im Kopf des Zuschauers nicht so recht zusammensetzen. Ab – 16
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