Meist ist besser, wenn die Bilder selber sprechen und nicht die Regisseure über sie.
Meist ist besser, wenn die Bilder selber sprechen und nicht die Regisseure über sie. Wenn also lustig aussehende animierte Kröten fliegen, wenn leicht leuchtende Regenwürmer in Schreibschrift eine Botschaft im Sand hinterlassen oder wenn ein Baugerüst zu einer KingKong-Riesenskulptur fast wie in „Transformers“ mutiert, den Berliner Fernsehturm anspringt und zum Umfallen bringt. Robert Bramkamp, der in Hamburg experimentellen Film lehrt und über die Jahre ein sehr buntscheckiges Werk hervorgebracht hat, neigt allerdings dazu, seinen neuen Film mit einigen Selbsterklärungen und Theoriean- und -überbauten zu verzieren. Als „Transmedia SciFi-Film“ bezeichnet er „Art Girls“, kombiniert mit einem Online-Gratiskurs für innovatives Filmemachen, und diese Form der versuchten Rezeptionssteuerung ist nicht für jeden auch eine Einladung. Weshalb man sich lieber mal ganz krude ans Sichtbare hält: Eine Künstlerin namens Nikita Neufeld, kurz vorm Scheitern, jenseits der vierzig, vom Freund verlassen, gespielt von Inga Busch; ihre Freundin Una (Megan Gay), nicht viel erfolgreicher; Kunstbetriebsschicksale in Berlin, nicht unbedingt der Filmstoff unserer Träume. Doch Bramkamp, der auch angenehm skrupellos mitten im Film den Erzähler auswechseln wird, biegt, bevor es einen anzuöden beginnt, scharf ab, Richtung ScienceFiction. Peter Lohmeyer spielt ein Zwillingspaar, zwei hinreichend irre Wissenschaftler, die mit „L-Strahlung“ und „Biosynchronisation“ die Menschheit verändern wollen, indem sie blockierte Potentiale freisetzen. Ihre Probanden suchen sie zunächst in der Kunst, und von Nikita gehen die stärksten Impulse aus, wie ein spezielles Messgerät anzeigt, das vage an eine vorsintflutliche Spielkonsole erinnert. Sie wollen „Kunst, die wirkt“, das wird wie ein Mantra wiederholt. Von jedem Beipackzettel wissen wir aber auch, dass das nicht ohne Risiken und Nebenwirkungen abgeht. Und so überrascht es nicht, dass die Sonne auf einmal bläulich schimmert, der gelähmte der beiden Zwillinge wieder gehen kann und seine blockierte Potenz mit Nikita freilegt; leider gebiert die in Biosynchronisation erzeugte sogenannte Wir-Intelligenz auch Monströses. Da rutscht die ScienceFiction ins Katastrophische hinein und durch es hindurch. Fiktionen werden real, aus Freundinnen werden Widersacherinnen, die Zwillinge entzweien sich. Bramkamps Idee ist es nun, dass Kunst nicht einfach wirkt wie ein Medikament, sondern dass sie den Lauf des Films verändert, das Erzählen transformiert. Diese Programmatik kommt einem natürlich immer ein bisschen so vor, als rüttelte einer ganz heftig an den Stäben der Zelle, in welche das Kinoerzählen eingesperrt bleibt, weil ihm trotz Animationstechnik, trotz vielfältiger V-Effekte der Sprung in die Welt nur insofern gelingt, als sich in den Köpfen jener Zuschauer etwas tut, denen der Topos von der Fiktionalisierung der Wirklichkeit schon von Schriftstellern wie DeLillo oder Pynchon vertraut ist. Die Collage verschiedener optischer Stile und eine Inszenierung, welche die Schauspieler gezielt eckig agieren und sprechen lässt, dazu die demonstrativ gehandhabten Low-Budget-Spezialeffekte – das alles wäre, für sich genommen, nur eine dieser so sympathischen wie folgenlosen Attacken auf das Diktat des einschläfernden mittleren Realismus, in dem alles wirkt, als regierten in Kino und Fernsehen allein die Algorithmen eines Dramaturgie- und Bilderzeugungsprogramms. Was diese „Art Girls“, welche bei zwei Stunden Laufzeit eine gewisse Langmut voraussetzen, von solchen Versuchen abhebt, das sind die Werke der Künstlerin Susanne Weirich, welche der Film nicht einfach im zweidimensionalen Raum „ausstellt“, indem er sie dokumentiert. Weirich ist Artdirektorin des Films, der Film ein neuer Showroom ihrer Arbeit. Inga Busch begegnet zum Beispiel als Nikita ihrem Avatar aus „Silent Playground“ (2005). Die 2001 in München präsentierte Dia-Sound-Installation „Die Glücksprophezeiungsmaschine“ wird Nikita zugeschrieben und sorgt im Zusammenspiel von Tarotkarten und aus literarischen Quellen bezogenen Losungen für narrative Kurswechsel. Und aus der Videoinstallation „Angels in Chains“ (2009), welche die Gesichter von Charles Mansons Mördermädchen auf Kristallkugeln projizierte, altern und ihre Gesichter in jene der Darstellerinnen aus „Drei Engel für Charlie“ übergehen ließ, gewinnt der Film Inspiration für die eigene Bildproduktion. An diesen Schnittstellen wird es interessant, da sprühen SynergieFunken, da werden die wolkigen und bisweilen etwas prätentiösen Geltungsansprüche geerdet durch die sinnliche Präsenz einer Kunst, die auf anderem Terrain wirkt, weil sie sich ihrerseits filmischer Mittel bedient hat. PETER KÖRTE „Art Girls“ wird vom 9. April an über sechs Monate hinweg in zahlreichen deutschen Städten zu sehen sein. Als eine Art Making-of ist in der Mediathek von Arte der Film „Neue Natur – Art Girls intern“ bis zum 1. Juni verfügbar.
Rezension von Peter Körte, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Ausgabe vom 6. April 2015