Hamburger Regisseur Robert Bramkamp gestaltet Independent-Kurzfilmmagazin in SAT 1 / Thema: Architektur und Gewalt
Nun sind es nicht mehr die viereckigen Kisten, nicht mehr die millionenfach gestanzten Fensterlöcher, aus denen Menschen starren und murmeln: “Hochhäuser, Hochhäuser. Die Zukunft ist weich und warm, die Formen sind rund, und ein Innenhof gehört natürlich dazu. Doch die schöne neue Welt möchte durchaus nicht gelebt, sondern genutzt werden. Die Stichworte heißen: Zweckmäßigkeit , “Wohnquartier , ,,Bezug.
Diese neuen Eintragungen in das Wörterbuch des Herrenmenschen muß sich auch der junge Architekt Lüders gefallen lassen. Entführt und festgehalten von erbitterten Mietern seiner sozialen Wohnanlage, starrt er auf den von ihm geplanten Innenhof, auf den Kinderspielplatz, den Altengarten, die Promenade. Er schreibt ein Geständnis, gezwungen durch Waffengewalt: Er habe den Bewohnern seiner Anlage statt eines Lebensraums einen Bezug geliefert, statt eines Zuhauses ein Wohnquartier. Sie können doch machen, was sie wollen , wird er einwenden. Nur wo? Im Altengarten? Eine Mieterin: Ich bin auf dem Hof und tue an jedem Ort das, was Sie für mich dort geplant haben. Freiheitsberaubung.
Der Kurzspielfilm Der Mann am Fenster bildet den Schwerpunkt der morgigen Ausgabe des Fernsehmagazins Einer, Keiner, Hunderttausend. Der aus Hamburg stammende Regisseur des Films, Robert Bramkamp, hat auch die weiteren Beiträge der nunmehr vierten Folge dieser Sendung zusammengestellt: einen Dokumentarfilm und einen experimentellen Beitrag verspricht das Programm unter dem gemeinsamen Titel: Architektur und architektonische Symbole – und wie man damit fertig wird.
So ist das Abtragen des Brandenburger Tors mitzuverfolgen. Ein Modell, von dem Hamburger Konditormeister Frank Roesner aus Marzipan gebaut, wird in Berlin unweit des Originals zerlegt und hundert Grammweise an Touristen verkauft. Helfen sie mit bei der Entsorgung eines Symbols!
Das Nagen am Symbolismus durchzieht die Sendung fast noch konsequenter als das Thema Architektur. Bramkamp kratzt in seinem eigenen Beitrag am Symbol des Realismus: Seine Schauspieler sprechen eckig, eiern durch die Texte mehr, als daß sie sie ausleben. Die saubere filmische Arbeit läßt allerdings keinen Zweifel daran, daß der Effekt beabsichtigt ist. Actionszenen, wie die Entführung des Architekten, werden zudem von den Protagonisten selber mit Musik aus einem mitgebrachten Cassettenrecorder unterlegt. Wie eben im wirklichen Leben.
Konsequenter noch zerlegen die Hamburger Filmemacher Hanna Nordholt und Fritz Steingrobe die zweite Wirklichkeit der bildlicher und wörtlichen Semantik. In ihrem Film Bei Ruth entstehen uniforme Hochhäuser am Fließband. Städte werden aufgebaut und wieder um-, ab- und eingerissen, während glückliche Arbeiter nach Feierabend sich mit Videoaufzeichnungen der Zerstörungen unterhalten. Eingeblendet werden Städtenamen (“Hongkong , “Dresden , “Frankfurt”), die den Häusern zugeordnet werden könnten; oder unzusammenhängende Substantive, die vielleicht auch etwas bedeuten. In langen, sich uniform wiederholenden Schlaufen zerreibt die vorgebliche Wichtigkeit der einzelnen, symbolträchtigen Bilder und Worte zu staubigem Sinngefusel. Die Zuschauerin kann den vollen Effekt dieser neopsychedelischen Postmodernen allerdings nicht voll auskosten. Da die Sendezeit begrenzt ist, wird nur ein Ausschnitt gezeigt werden. Wir lernen:
Nichts ist wahr außer dem Sendetermin.
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